Die Schulen und Kindertagesstätten stehen seit über einem Jahr im Mittelpunkt der öffentlichen und wissenschaftlichen Fachdiskussion um das adäquate Umgehen mit der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland. Viele europäische Staaten haben von Schulschließungen komplett abgesehen oder sie auf sehr kurze Zeiträume beschränkt, Deutschland hat sich dagegen entschlossen, die Schulen über mehrere Monate zu schließen und auf Distanzunterricht umzustellen. Diese Haltung stützte sich auf Modell-Rechnungen und einzelne in vitro-Untersuchungen, aber mittlerweile stehen auch real world-Daten in genügender Menge zur Verfügung. Frau Prof. Dr. med. U. Heudorf, ehem. Stellvertretende Leiterin des Frankfurter Gesundheitsamtes, hat sich der Thematik angenommen und stellt hier das verfügbare Wissen zusammen mit den Quellen vor.
Zusammenfassende Übersicht zu SARS-CoV-2 und Schulen
von Frau Prof. Dr. med. U. Heudorf, ehem. Stellv. Leiterin des Frankfurter Gesundheitsamtes
Aus vielen Ländern, insbesondere den USA, wurden zahlreiche Daten veröffentlicht, die in der weit überwiegenden Anzahl gezeigt haben, dass es in den Schulen bei geeigneten Hygienemaßnahmen nur zu sehr wenigen Übertragungen kommt, selbst unter hohen Inzidenzen in der Allgemeinbevölkerung (bis zu ca. 500/100.000 und Woche). Aus Deutschland sind hierzu noch vergleichsweise wenige Publikationen erschienen.
Zwei Publikationen untersuchten mögliche Übertragungen in Schulen im Herbst 2020 während hohen Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung mit Maximalwerten von bis zu > 300 (Frankfurt am Main) resp. 180/100.000 (Rheinland-Pfalz – bei Präsenzbetrieb unter Corona (kein Wechselunterricht), d.h. AHA+L Regeln, noch ohne die ab März 2021 eingeführten Antigentests.
In Frankfurt am Main wurden bei der Untersuchung von 3788 engen Kontaktpersonen (KP) (897 Mitarbeiter, 2891 Kinder) von 110 „Indexfällen“ insgesamt 0,9% der Erwachsenen und 2,5% der Kinder positiv auf SARS-CoV-2 getestet, in zwei Drittel der Untersuchungen wurde keine KP positiv getestet, und selbst in der Phase mit hohen >> 200/100.000 Einwohner und Woche blieb die Rate der positiv getesteten engen KPs mit 1,1% der Erwachsenen und 4,0% der Kinder niedrig. War der Indexfall ein Erwachsener, wurden mehr KP positiv auf SARS-CoV-2 getestet, als wenn der Indexfall ein Kind war (n. sign.). (Hier zur Studie.)
Die landesweite Erhebung von 784 Indexfällen aus allen Schulen und Kitas in Rheinland-Pfalz bis Ende Dezember 2020 zeigte, dass es nur bei jedem 6. Indexfall zu Übertragungen kam. Bei 89% der 14.595 engen KPs wurde ein PCR Test auf SARS-CoV-2 durchgeführt, wovon 196 (1,3%) positiv waren. Waren Lehrer die Indexperson, kam es dreimal häufiger zu Transmissionen verglichen mit Kindern als Indexpersonen. Lehrer verursachten 4x mehr Sekundärfälle als Kinder – und dies häufig bedingt durch Kontakte zwischen Lehrern. (Hier zur Studie.)
Für die Zeit nach den Osterferien 2021 konnten zwei Publikationen aus Hessen (Fokus Frankfurt und ganz Hessen) sowie aus Bayern (landesweite Daten) zeigen, dass die nach den Osterferien 2021 festgestellten hohen Inzidenzen bei Schülern durch die inzwischen bestehende Antigentestpflicht für Schüler bedingt waren. Die Erreger mußten in den Osterferien erworben worden sein und nicht im Zusammenhang mit dem Schulbetrieb. (Hier zur Studie in Hessen.)
Die Auswertung der Ausbruchs-Daten aus ganz Bayern von KW 37 / 2020 bis KW 19 / 2021 zeigte, dass in Schulen nur wenige Personen von Ausbrüchen betroffen sind (max. 180/7 Tage vor den Herbstferien 2020 und max. 25/7 Tage ab März 2021 – im Vergleich mit max. ca. 350/7 Tage im Krankenhaus und max. ca. 3000/7 Tage im Altenpflegeheim). D.h. auch nach der schrittweisen Öffnung der Schulen für den Präsenzunterricht seit Mitte Februar (KW 8) blieb die Anzahl der Fälle, die aus Infektionen an der Schule resultieren, gering, obwohl der Untersuchungszeitraum bereits die Pandemiephase einschließt, in dem die neue Virusvariate B117 präsent war. Im Mittel waren etwa 1% der gemeldeten Fälle bei Kindern auf Infektionen an der Schule zurückzuführen. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass durch die Reihentestung unter Schülerinnen und Schülern die Dunkelziffer in diesen Altersgruppen gegen Null geht, also in diesen Altersgruppen durch die Meldeinzidenzen das Infektionsgeschehen jetzt so gut wie vollständig widergegeben wird. (Hier zur Studie.)
Daraus und angesichts der Tatsache, dass Kinder nur sehr selten schwer erkranken, wurden die Schlußfolgerungen gezogen, dass Schulen keine Risikobereiche sind und mit guter Hygiene (AHA+L-Regeln) Einträge in Kindergemeinschaftseinrichtungen zwar nicht sicher zu verhindern, aber gut zu beherrschen sind – im Präsenzunterricht ohne Antigentestpflicht – selbst bei hohen Inzidenzen in der Gesamtbevölkerung. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der zunehmenden Impfrate der vulnerablen Gruppen und nicht zuletzt wegen der erheblichen negativen Effekte des Lockdown auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder wurde erneut eine gesamtgesellschaftliche Diskussion angeregt über Ziele und Mittel der Pandemiebekämpfung und es wurde empfohlen, ab Herbst 2021 zu einem normalen Betrieb der Kindergemeinschaftseinrichtungen zurückzukehren – mit guter Hygiene (Husten- und Niessetikette, Händehygiene) ohne Test- und Maskenpflicht. (Zum Artikel)