Die alten Grundsätze sind aktueller denn je: Protection entscheidend, aber Mitigation nicht vergessen
Wer es noch im Ohr hat, dass Corona alle Regeln außer Kraft setzt, und jetzt schon wieder die Theoretiker vor der vierten Welle warnen hört – und dass deswegen die „alten“ Weisheiten der Prävention nicht mehr gelten, sondern man nur einzig und allein auf Lockdown setzen sollte (containment) – dem sei zur Abwechselung mal nicht mit der internationalen Literatur weitergeholfen, sondern mit dem ganz einfachen Pandemieplan des Robert-Koch-Institutes in Berlin aus dem Jahr 2017 zur Influenza.
Was steht da drin (S. 23f)? Dass man mit Kontaktbeschränkungen („Lockdown“) viel erreichen kann, aber dass man vor allen Dingen an den Schutz der vulnerablen Gruppen – das waren (muss man leider sagen) bei uns die älteren MitbürgerInnen in den besonders anfälligen Institutionen – und an die Folgenbegrenzung (Mitigation) denken muss. Gerade der letztere Punkt wurde in der Corona-Epidemie allerdings noch viel zu wenig beachtet. Wie gut war denn die medizinische Betreuung der positiv getesteten Personen und Familien? Hat da ein Arzt oder eine Ärztin täglich vorbeigeschaut um festzustellen, ob eine Verschlechterung droht, mit eventueller Einweisung ins Krankenhaus? Die Gesundheitsämter sagen: es hat Anrufe gegeben. Ist das genug? Die Betroffenen berichten, dass sie ihrerseits sich die Finger wundgewählt haben, um im Gesundheitsamt überhaupt jemanden zu erreichen, der ihnen sagt wie es weitergehen soll. Aber dass das Gesundheitsamt von sich aus regelmäßig nachgefragt hat?
Denn die eigentliche Frage lautet: hat man Mittel und Wege gefunden, um für die positiv getesteten Risikopersonen eine Hospitalisierung zu verhindern – oder hat man es laufen gelassen. Die zahlreichen persönlichen Mitteilungen sprechen nicht diese Sprache, die Leser und Leserinnen mögen es selbst beurteilen.
Wir haben immer darauf hingewiesen, dass Containment allein nicht den entscheidenden Durchbruch bringt, sondern dass man die Vulnerablen mit vernünftigen, den Einfallsreichtum der Gesellschaft aktivierenden Maßnahmen schützen muss. Aber die Diskussion, die noch aussteht, bezieht sich darauf, ob wir der Verschlimmerung des individuellen Infektionsverlaufes eigentlich genügen Aufmerksamkeit gewidmet haben. Hier sind Erhebungen notwendig, die die Familien und Einzelpersonen einbeziehen und sie genau befragen, wie denn – aus ihrer Sicht – die Verhinderung des Infektions- und Krankheitsprogresses organisiert war. Wir haben in den letzten Jahren ja viel über die Patient-Reported Outcomes (PRO) gelernt, hier wurde geradezu das Zentrum der Qualitäts- und Sicherheitsdiskussion in der Gesundheitsversorgung vermutet, nämlich die Patienten selbst zu fragen, wie gut war die Schmerztherapie, die persönliche Zuwendung – und jetzt haben wir die Chance, diese Instrumente ganz konkret mal anzuwenden, auf die Corona-Versorgung. Hier wäre es richtig, richtig wichtig. Um zu lernen für die nächsten Epidemien.
Download des RKI-Präventions-Papiers