Im Dunklen: Eine Melderate ist keine Inzidenz

Die als „Inzidenzrate“ bezeichnete, auf 7 Tage bezogene Zahlenangabe des RKI beruht auf einer unsystematisch gewonnenen Stichprobe und ist nicht als valide Angabe zur Neuerkrankungsrate zu verstehen. Dieser Umstand wird in den Thesenpapieren seit einem Jahr immer wieder betont, weil daraus folgt, dass dieser Wert zur Steuerung nicht sinnvoll verwendet werden kann.

Der Begriff der Inzidenz beruht auf der longitudinalen Untersuchung einer Population oder einer repräsentativen Stichprobe dieser Population mit einem oder mehreren Testverfahren im Zeitverlauf (genaue Definition und Kriterien vgl. Thesenpapier 6, Kap. 2.2). Stattdessen wird die Melderate (notification rate) dadurch berechnet, dass man die Meldungen über erkannte Neuinfektionen auf die Gesamtbevölkerung umrechnet, ohne Annahmen über die Dunkelziffer zu machen (s. Abb. 4 in Thesenpapier 6).

Zusätzlich kommt jetzt hinzu, dass die zunehmende Durchimpfung der älteren Altersgruppen der Melderate auch ihre Bedeutung zur Vorhersage der Morbidität und Mortalität nimmt. Konnte man im Herbst noch argumentieren, dass die Melderate „50/100.000“ in ungefährer Weise das Risiko für die vulnerablen Gruppen anzeigt, schwer zu erkranken, verliert dies jetzt an Bedeutung, wenn die Vulnerablen zunehmen durch die Impfung vor Erkrankung und Tod geschützt sind. Heute sollte der Bericht und die Steuerung mit einer Melderate über die Gesambevölkerung nicht mehr verwendet werden. Interessant wäre allenfalls einen Melderate für die höheren Altersgruppen, um Impfversager und kleine Ausbrüche durch Impflücken zu beschreiben. Außerdem kann es sinnvoll sein, für bestimmte Problemsituationen eine Melderate zu berechnen und darzustellen, z.B. für Schulen getrennt für Schüler und Lehrer.

Es ist sehr ermutigend, dass dies jetzt zunehmend auch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, z.B. in der WELT vom 11.3.21 und in Focus Online vom 12.3.2021.