11. Stellungnahme des Corona-Expertenrates vom 8.6.2022
Man kann, man muss sich fragen, woher die Eile kommt: heute (8.6.22) hat der Corona-Expertenrat in seiner 11. Stellungnahme die Maßnahmen für den Herbst 2022 skizziert, drei Wochen vor Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse des parallel arbeitenden Sachverständigenrates nach §5 Abs. 9 IfSG. Dessen Evaluationsbericht war, bemerkenswerterweise, wenige Stunden vorher an die Presse durchgestochen worden, obwohl es sich nur um nicht-legitimierte Vor-Versionen handelte (schon mal maliziös runtergeschrieben (SZ vom 8.6.)). Wissenschaft-gestützt handeln, so wie es der Gesundheitsminister vor sich herträgt? das ist nun wohl endgültig Vergangenheit – oder war nie Gegenwart.
Dabei steht in der 11. Stellungnahme viel richtiges drin. Ohne Zweifel, es ist richtig in Szenarien zu denken, es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass uns im Herbst eine neue Variante mit erhöhter Pathogenität u.o. Infektiosität entgegentritt. Auch wird – letzter Satz – an die Notwendigkeit freier Debattenräume erinnert, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht verloren geht: „Abschließend empfiehlt der ExpertInnenrat, der in Teilen der Gesellschaft wahrnehmbaren polarisierten Haltung in Bezug auf das Corona-Management konstruktiv zu begegnen und wieder in einen Dialog zu treten.“
Wie wahr.
Aber es bleibt völlig im Unklaren, warum dann die strittigen Punkte und die Defizite nicht angesprochen werden. Beispiel: Wo steht die Forderung, den „hohen Immunisierungsgrad der Bevölkerung“ (1. Absatz) einmal durch eine Studie zur Seropositivität zu objektivieren (wie z.B. in UK geschehen) und so die Bereiche besonderen Handlungsbedarfes zu identifizieren? Viel Text kommt auch zu den Kindern, nur um die Frage, wie man mit den nicht-geimpften Kindern umgehen solle und wie man sie vor (verdeckter) Diskriminierung schützt, da drückt man sich drumrum. Ein Dialog ist aber nur möglich, wenn solche Punkte offen angesprochen und geklärt werden, denn hierzu hätte ein Expertenrat wirklich die Autorität. Und vonseiten der Wissenschaft bleibt die große Frage, wie der Expertenrat zu der einleitenden Aussage kommt, erst jetzt – günstigere Immunsituation – könne man alle drei Pfeiler des infektiologischen Grundsetzes in Kraft setzen, nämlich Eindämmung (containment), Schutz der Vulnerablen (protection) und Folgenminimierung (mitigation) – dabei handelt es sich hier um die gültige Trias der Maßnahmen gerade von Anfang an. Eine denkwürdige Verbiegung, gleich zu Beginn des Textes, und eine bedenkliche, nachgeschobene Rechtfertigung, die eines wissenschaftlichen Gremiums unwürdig ist.
Bleibt die schmallippige Pressemitteilung des Evaluations-Sachverständigenrates vom gleichen Tag: „Es ist bedauerlich, dass bereits jetzt über Entwürfe [des Evaluationsberichtes vom 30.6., der Verf.] öffentlich spekuliert werden. Die Kommission bittet um Geduld, bis der finale Bericht vorgelegt wird.“ Man wird den Eindruck nicht los, dass sich das ganze Szenario weiter in Richtung eines Wissenschafts-freien Nebels verschieben soll. Empfehlungen für den Herbst werden vor den Ergebnissen der Evaluation veröffentlicht. Man muss wohl damit rechnen, dies zur Illustration, dass demnächst Medikamente zugelassen werden, bevor die Studien zu ihrer Wirksamkeit vorliegen – welche Blamage für unser System.
Hier zum Download der 11. Stellungnahme